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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Kolumbianische Verhältnisse in Paraguay?
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
20.07.10     A+ | a-
Wir befinden uns im unbekannten, im tiefsten Paraguay  -  wo es kleine Orte gibt mit nie gehörten Namen: Hugua Ñandú, Paso Barreto oder Puentesinho. Drei Orte im Departement Concepción -  ersterer mit einem Namen in guaraní, der zweite in spanisch, und der dritte in portugiesisch.
Hugua Ñandú  -  bereits der Ortsname deutet darauf hin, dass in diesem Gebiet  fast nur guaraní gesprochen wird, ein außerhalb Paraguays nicht gerade bekanntes Idiom. Gleichwohl wurde er, orthografische Herausforderung, hundertfach und weltweit in den Medien geschrieben in Zusammenhang mit der politisch motivierten Entführung des paraguayischen Großgrundbesitzers Fidel Zavala. Das liegt noch nicht lange zurück.
Da drang aus diesem eher makabren Anlass die Botschaft ins nationale Bewusstsein:  „Der Norden existiert! Wie groß ist doch unser Paraguay!“
Immer war das Departement Concepción mit seiner gleichnamigen, verschlafenen Hauptstadt isoliert, ja diskriminiert gewesen: Der Diktator Stroessner pflegte bestimmte Gegenden des von ihm wie Privatbesitz verwalteten Landes, in denen sich Widerstand regte  -  oder wo die „azules“, die  Blau – Liberalen, seiner Meinung nach zu viel Rückhalt in der Bevölkerung hatten  -  mit dem Entzug von staatlichen Geldern, totaler Vernachlässigung der Infrastruktur und anderen Schikanen zu „bestrafen“.
Noch heute sind die Folgen zu spüren: So führt praktisch die einzige asphaltierte Straße von Concepción zur Grenzstadt Pedro Juan Caballero.
Der weitläufige nördliche Teil des Departements dagegen ist fast unzugänglich.
Dort also, im Norden, ca. 100 km von Concepción entfernt, liegt auch Hugua Ñandú mit seinen gut 2000 Einwohnern.

Der Großgrundbesitzer Fidel Zavala ist längst frei, aber Hugua Ñandú erfreut sich neuerlicher,unverhoffter Berühmtheit. Der Ort und die ganze Region befinden sich zudem seit Wochen im „Estado de Excepción“, dem Ausnahmezustand  -  eher ein Euphemismus, wie manch einer meint, der die Lage im Norden  mit dem Wort  „Belagerungszustand“ besser beschrieben fände.
Losgeschickt vom paraguayischen Staat und seinem Kongress, halten sich inzwischen Tausende Soldaten und Polizei in der Zone auf, um Jagd zu machen auf eine angeblich (schwer bewaffnete ) Guerilla vom „Ejercito Popular Paraguayo“ (EPP – Paraguayisches Volksheer). Unterstützt werde diese Streitmacht von der kolumbianischen FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias Columbianas – revolutionäre kolumbianische Streitkräfte), den dienstältesten südamerikanischen Gewaltrevoluzzern. So heißt es.
Oder ist das nur der Vorwand für eine entfesselte Überwachung und Einschüchterung unliebsamer sozialer Organisationen im Norden?
Und in Wahrheit ist da nur eine Handvoll krimineller Desperados am Werk?
Wie soll man den folgenden schweren Vorfall von Anfang Mai bewerten:
Eine bewaffnete Gruppe von 350 Männern überfällt ein Haus, in dem gerade der „quinzenario“, der 15te Geburtstag eines Mädchens, gefeiert wird, nimmt alle Teilnehmer des Fests als „Kriegsgefangene“, geht mit brutaler Gewalt gegen Wehrlose vor. Das 15jährige Geburtstagskind liegt, Mund nach unten, auf dem Boden, den Lauf eines Sturmgewehres am Kopf. Scharfes Verhör der Anwesenden durch das Militär, es geht um den Aufenthaltsort eines Achtjährigen, Sohn einer gesuchten „guerillera“.

Dann ein völlig unerklärlicher, wilder Schusswechsel zwischen Polizei und Militär, letztere „erobern“ die Polizeistation, zwei Polizisten werden von den „Kollegen Militärs“ erschossen  -  kein besonders freundliches Feuer.
Präsident Lugo eilt zur Klärung an den Ort, kritisch begleitet von Teilen der paraguayischen Presse, die ihn immer wieder der Komplizenschaft mit der „von Kolumbien ferngesteuerten paraguayischen Guerilla“ bezichtigt hatten.
(Der mehrtägige Besuch des Präsidenten in Deutschland auf Einladung der Friedrich Ebert Stiftung wird „wegen innenpolitischer Spannungen“ abgesagt.
Gern hätte man, das Programm schon in der Hand, seinen Vortrag über die „Aktuelle politische Situation“ in Paraguay gehört......)

Stattdessen bemüht sich Lugo im eigenen Land zu begründen, warum er mit Kanonen auf Spatzen schießen lässt oder, wie ein aufgebrachter Campesinoführer sagt, wieso 350 Elitekampfsoldaten auf eine verdächtige, nicht einmal angeklagte Frau angesetzt werden?

Es fällt schon das Wort „Staatsterrorismus“, ein Lügenwort allerdings im Munde der Lugogegner in Politik und Wirtschaft, die es gern aufgreifen, um den verhassten Präsidenten zu demontieren und aus dem Amt zu jagen.
„Für die internationale Presse  ist das ´Paraguayische Volksheer´ ein Gespenst“, schreibt die Tageszeitung „ABC-Color“, sie führt als Kronzeugen einen BBC-Korrespondenten an, der nach  einem ausgedehnten Recherchebesuch im Lande von dem „mysteriösen Phantom der paraguayischen Guerilla“ schreibt und sich fragt, „wie denn 2 bis 3 Dutzend Männer und Frauen in der Lage sein sollen, mehr als 3000 Militärs und Polizisten zu entkommen“.
Jedenfalls ist Paraguay zur Zeit ein Dampfkessel  -  mit Zündstoff wie einer angeblichen „marxistisch - leninistischen Guerilla“, die Sojabarone entführt, einem möglichen Staatsstreich und  -  als würde das nicht reichen  -  fünf militarisierten Provinzen im Ausnahmezustand. Und je nach Erzähler ist der Hauptfeind des Landes entweder das organisierte Verbrechen, die Drogenmafia oder die Anstifter zu einem Aufstand a la Che Guevara.
Auch für die Buchautorin und Reporterin Stella Calloni vom mexikanischen ´La Jornada´  ist “die Geschichte vom Paraguayischen Volksheer ein Witz! Keine Guerilla der Welt kann auf einer so kleinen Fläche manövrieren, auf der viel Militär im Einsatz ist, das auf Befehle der Sojabarone und der Herren des „offiziellen“ Paraguays reagiert.
In Wahrheit hat ein Teil der Regierung den eigenen Präsidenten mit dieser Terrorismusmasche in die Enge getrieben, um den schon im Gang befindlichen Staatsstreich zu beschleunigen.“

Den Präsidenten hat man also zum Terroristenjagen getragen, ihm wird bei seinem Besuch aber immer noch artig salutiert.

Der paraguayische Innenminister Rafael Filizzola  hat mit Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe einen Vertrag zur Ausbildung von paraguayischen Antiterror -Einheiten geschlossen, um auf diese Weise einen inneren Feind nach Art des kolumbianischen Heers gegen die FARC zu bekämpfen.

Der Präsident Paraguays aber steht mit dem Rücken zur Wand. Seine Regierung ist extrem schwach, der eigene Vize droht mit einem amtsenthebungsverfahren, und die alten Colorados beherrschen immer noch den Kongress und die Justiz.
Wohl vermochte Lugo die Ausweitung der „militärisch - humanitären Manöver“ mit den USA, genannt „Neue Horizonte“, verhindern. Was ist das?
Seit Jahren betreibt USA, „der große Bruder im Norden“, seine Politik für den Hinterhof, bietet gemeinsame Manöver an, bei denen auch mal was für das heimische Militär abfällt. Immer auch senden sie medizinisches Personal für ihre Sanitärkosmetik,

verschenken milde Gaben an die Landbevölkerung oder graben den ein oder anderen Brunnen. Dabei übernehmen ihre jungen Leute vom Peace-Corps die eher folkloristische Ausschmückung.
Es wundert niemanden, dass die „yankis“ ihre Aktionsgebiete nicht nach landschaftlicher Schönheit aussuchen, sondern immer da zu finden sind (waren?), wo es strategisch – militärisch oder wegen der Rohstoffe interessant ist: In Paraguay das Chaco – Erdöl und, zunehmend, die riesigen unterirdischen Süßwasservorräte des sogenannten „Acuífero Guaraní“.

Offensichtlich konnte Lugo in Verhandlungen mit seinem großen Kollegen Obama diese Praxis (mit der die Amerikaner meist schamlos die nationale Souveränität Paraguays verletzten) wenigstens eindämmen.
Fernando Lugo hatte aber nicht die Kraft, den „Ausnahmezustand“ an der Nordgrenze abzuwenden, da wurde er einfach überrollt  -  und hatte im Wortsinn das Nachsehen gegenüber der erdrückenden Oppositionsmehrheit im Kongress und seinen „Bündnispartnern“ von den Liberalen. Und so besucht er brav „seine Truppen“ im Norden und versucht, sich irgendwie durchzulavieren.
Natürlich hat die paraguayische Opposition nichts anderes vor, als ihn zu stürzen und die Macht zu übernehmen. Geschickt zwingen sie ihm politische Konstellationen auf, die ihn gegenüber der eigenen sozialen Basis schlecht aussehen lassen.
Derweil klagen Campesinoorganisationen von Concepción und San Pedro Vertreibungen und Strafprozesse gegen ihre Führer an. Das ist allerdings nicht neu, wie Menschenrechtsorganisationen wissen, die von vielen, größtenteils unregistrierten, Übergriffen der letzten Jahre im gesamten Chacoraum berichten.
Eine feindselige Gegend ist das, nicht nur wegen des Drogenschmuggels und des organisierten Verbrechens, auch die mächtigen Sojagroßgrundbesitzer trumpfen auf und dulden keinen Widerstand, geschweige denn, das Wort Agrarreform auch nur in den Mund zu nehmen.
Der andere „große Bruder“ ist der Nachbar Brasilien, der bot Lugo eine Hilfestellung  zur Beruhigung der „Nordfront“ an.
Nicht unwillkommen offenbar -  einen entsprechenden Vertrag hat Fernando Lugo mit dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva geschlossen.
Die beiden können gut miteinander, und Lugo selber meinte einmal, dass ihn ohnehin nur „die befreundeten Nachbarregierungen an der Macht halten ......“
Aber das Gespenst eines Staatsstreichs a la Honduras ist damit nicht vom Tisch.
Wird Lugo nach Honduras´ Zelaya  der zweite südamerikanische Präsident sein, den man zwingt, sein Amt abzugeben und das Land zu verlassen?

Die so dringende Landreform ist derweil außer Sicht. Wer mag noch dafür demonstrieren, wo es doch Wichtigeres
gibt  -  z. B . Terroristen jagen .....

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